Schachanekdoten
Der in Prag geborene Weltmeister Wilhelm Steinitz (1836-1900) spielte um seine finanzielle Lage zu verbessern regelmäßig in London in einem Kaffeehaus Schach-Schnellpartien um Geld. Die Beträge waren höher wie damals in Wien, oft handelte es sich um ein englisches Pfund. Ein englischer Geschäftsmann, der sehr schwach spielte und ständig verlor, war einer seiner Dauerkunden. Daher überlegte sich einer von Steinitz’s Freunden, nachdem sich dieser Spielverlauf wochenlang wiederholte, ob es nicht ratsamer wäre, den wohlhabenden Spielpartner auch einmal gewinnen zu lassen, bevor dieser das Interesse am Schachspielen mit dem Weltmeister verliere und damit auch seinen besten Kunden. Da Steinitz diese Überlegung für sinnvoll hielt, beschloss er die nächste Partie zu verlieren. Er stellte in diesem Spiel seine ungedeckte Dame dem Gegner entgegen. Nach sechs weiteren Zügen bemerkte er es und schlug die Dame. Daraufhin gab Steinitz auf und schob die Schachfiguren zusammen und fing an, sie für das nächste Spiel aufzustellen. Der Gegner wollte davon allerdings nichts mehr wissen und schrie: “Ich habe den Weltmeister besiegt! Ich habe den Weltmeister besiegt”, und rannte aus dem Kaffeehaus und ist dort nie mehr wieder aufgetaucht.
Wilhelm Steinitz war ein absoluter Verehrer des Komponisten Richard Wagner. Eines Tages spielte Steinitz im Wiener Schachclub einige Partien mit einem Unbekannten. Als sich dieser zu später Stunde mit der Bemerkung, er reise am nächsten Morgen nach Bayreuth, um dort als Cellist im Festspielorchester mitzuwirken, verabschiedete, rief Steinitz: “Dann sehen Sie ja Richard Wagner. Richten Sie den Meister bitte aus, dass ich, der Weltschachchampion, ihn höher schätze als Mozart und Beethoven - ja, dass ich seine Musik als den Gipfel der Kunst ansehe!” Wie es der Zufall wollte, trafen sich die beiden Herren einige Wochen später erneut im Schachclub. “Haben Sie Wagner meine Worte übermittelt?” erkundigte sich Steinitz umgehend. Der Cellist gab nickend zurück: “Ja, und Wagner meinte zu mir: “Ihr Steinitz versteht von Musik wahrscheinlich soviel wie vom Schach!”
Während einer Zugfahrt nach London kam der Weltmeister Steinitz mit einem - wohlhabend aussehenden - Geschäftsmann ins Gespräch. Im Laufe der Unterhaltung wurde Steinitz gefragt, welchen Beruf er denn ausübe. “Ich bin Schachspieler, mein Herr!”, lautete seine Antwort. “Gut, aber ich wollte gern wissen, was Ihr Beruf ist”, entgegnete der Geschäftsmann. Daraufhin Steinitz: “Ich spaße nicht - Schachspieler ist wirklich mein Beruf.” Der Gentleman, der von seiner achtjährigen Tochter begleitet wurde, schaute äußerst ungläubig. Doch plötzlich mischte sich die Tochter, in das Gespräch ein: “Spielen Sie immer noch Schach?” Steinitz lächelte und meinte: “Freilich - und warum auch nicht?” “Ich habe mit den Figuren gespielt”, entgegnete daraufhin die Achtjährige, “als ich noch ganz klein war - aber jetzt spiele ich schon lange nicht mehr damit.”
Während eines Wettkampfes wurde Steinitz einmal gefragt, wie er denn seine Chance sehe, dieses Turnier zu gewinnen. Gesagt haben soll er: “Ich habe die besten Aussichten, den ersten Preis zu gewinnen - den jeder muss gegen Steinitz spielen, nur ich nicht!”
In einer Partie kam Steinitz’s Gegner nach dem ersten Zug 1.e4 e5 ins Grübeln … und Grübeln … und Grübeln … “Na”, munterte ihn der Weltmeister auf, “Sie überlegen wohl, ob Sie sich gegen mich ein Königsgambit erlauben können!” “Nein, ich überlege, wie diese verdammten Springer noch mal ziehen!”
Nicht bei allen Zeitgenossen von Wilhelm Steinitz stieß sein Spielstil auf Verständnis. Es wurde viel darüber geredet. Sein Widersacher Henry Edward Bird (1830-1908) versuchte einmal den Erfolg des ersten Schachweltmeisters zu erklären: “Geben Sie den Inhalt einer Schachtel mit Schachfiguren in einen Hut, schütteln Sie kräftig und gießen Sie das Ganze aus einem halben Meter Höhe auf das Schachbrett. Dann haben Sie den Stil von Steinitz.”
Wilfried Paulsen (1828-1901), der Bruder des berühmten Schachmeisters Louis Paulsen war von Beruf Landwirt und ein bekannter Kartoffelzüchter. Doch auch vom königlichen Spiel verstand er so einiges und stand seinem Bruder im Können wohl nur um weniges nach. Beim Turnier in Aachen 1868 spielte er auch gegen Dr. Johannes Hermann Zukertort. In der Art eines bedächtigen Landmannes überlegte er in Ruhe seine Züge, während sich der temperamentvolle Gegner unters Publikum mischte und angeregt mit einer reizenden jungen Dame unterhielt. Paulsen aber saß regungslos, wie aus Stein gemeißelt am Brett. Endlich, nach 70 Minuten, “erwachte” er und führte zögernd den Zug Dd1-e2 aus. Worauf besagte Dame spontan rief: “Mein Gott ist das ein närrisches Spiel! Erst überlegen Sie wer weiß wie lange, dann machen Sie so einen kurzen Zug.”
Der Deutsche in Bresslau geborene Dr. Siegbert Tarrasch (1862-1934) lehnte Sekundanten ab. Als man ihm nach einer schwierigen Hängepartie zum Sieg gratulieren wollte, bekannte er freimütig: “Ich habe nur durch fremde Hilfe gewonnen. Als ich über der Partie brütete, schrie nebenan im Hotelzimmer ein Baby ständig “Aaaa!” Ich folgte dem Rat und entdeckte den Gewinn auf der A-Linie.
Weltmeister Dr. Emanuel Lasker verbrauchte am Schachbrett offenbar so viel Konzentrationskraft, dass ihm außerhalb seiner Profession zuweilen erstaunliche Fehler unterliefen. Als er einmal von London nach Paris gekommen war, stellte er sein Gepäck im Hotel ab und begab sich sofort in das berühmte “Cafe’ de la Regence” (wie es sich für einen Schachspieler gehörte, wenn er in Paris war!). Gegen Abend, als es an der Zeit war, wieder zu gehen, konnte er sich allerdings nicht mehr an die Adresse seines Hotels erinnern. Da konnte nur ein Blitztelegram an seinen Freund nach London helfen, um die Hoteladresse in Erfahrung zu bringen. Jedoch vergaß der zerstreute Doktor diesmal, die Adresse des Pariser Postamtes anzugeben. So wartete er und wartete, schlenderte in Erwartung einer Rückantwort viele Stunden durch die nächtlichen Strassen von Paris, bis er gegen Morgen zufällig an sein Hotel gelangte. Hier erwartete ihn ein Telegramm: “Dr. Lasker. Paris. Rue de Latour 12. Du wohnst in Paris, Rue de Latour 12”.
Die ersten Weltmeister der Schachgeschichte, Wilhelm Steinitz und Emanuel Lasker, waren als passionierte Zigarrenraucher wiederholt in kleine Geschichten ob dieses Genusses verwickelt. Während ihres Weltmeisterschaftskampfes im Jahre 1894 hatte Lasker von einem ihn verehrenden Anhänger ein Kistchen feinster Zigarren geschenkt bekommen. Nachdem Lasker das Match siegreich beendet hatte, gratulierte ihm dieser Fan und brachte sich gleichzeitig in Erinnerung, indem er den neuen Weltmeister fragte, ob ihm die besagten Zigarren auch ein wenig geholfen hätten, den Kampf zu gewinnen. “Selbstverständlich haben sie dazu beigetragen”, antwortete Lasker, “Sie hatten eine wirklich prachtvolle Idee.” “So gut sind sie also gewesen?” ließ der Fan nicht locker. Das weiß ich nicht”, präzisierte der Weltmeister, “ich habe sie nach und nach Steinitz angeboten. Ich selbst habe andere geraucht.”
Der in Berlinchen (heute: Barlinek, Polen) geborene Dr. Emauel Lasker (24.12.1868-13.01.1941) hielt im Frühjahr 1895 eine Vorlesung in London über das Schachspiel. Er wurde einmal von einem junge Zuhörer gebeten, ihm doch ein paar Ratschläge zum Zweispringerspiel zu geben. Lasker zeigte ihm schnell ein paar aktuelle Varianten. Sein Partner hörte ihm geduldig zu. Als Lasker zum Schluss gekommen war und ihn fragte, ob er sich jetzt nun einigermaßen mit dem Zweispringerspiel im Nachzuge auskenne, schüttelt der andere betrübt den Kopf und erwiderte: “Sie meinen ein ganz anderes Zweispringerspiel als ich. Meister Blackburne spielt hin und wieder gegen mich. Dabei gibt er mir seine beiden Springer vor, und ich komme einfach nicht an, gegen seine verflixte Eröffnung!”
Über Louis Paulsen, einen bekanntermaßen langsamen Spieler, berichtete George MacDonnell in der Deutschen Schachzeitung 1895 folgendes: In klarer Remisstellung brütete Paulsen über dem Brett, ohne einen Zug zu machen. Seine Bedenkzeit lief dabei ab. Sein Gegner, der das bemerkte, fragte Paulsen, worüber er denn nachdächte, die Partie sei doch Remis. Paulsen antwortete: “ Worüber ich nachdenke? Wenn wir das Spiel jetzt remis geben, dann habe ich in der nächsten Partie Weiß. Und ich überlege nun, welche Eröffnung ich wählen soll.” Paulsen verlor durch Zeitüberschreitung.
Der Berliner Meister Curt von Bardeleben (1861-1924) war ein hochsensibler, allerdings auf seine Umgebung oft skurril wirkender Mensch. Als er beim Schachkongress in Hastings 1895 nach vorzüglichem Start und wohlberechtigten Hoffnungen auf ein gutes Abschneiden gegen Steinitz in einen Mattangriff geriet, gab der die Partie nicht etwa auf, sondern verschwand einfach aus dem Turniersaal und tauchte nicht mehr auf. Diese Form der Kapitulation wiederholte der später häufig, so dass man ein damals geflügeltes Wort mit seinem Namen verknüpfte: “Liegt eine Partie aber ganz darnieder, dann geh’ mal raus und komm nicht wieder”. Eine verfeinerte Form dieser Gepflogenheit wandte er beim Münchener Turnier 1900 an. Als er gegen den Österreicher Karl Schlechter in einer Partie auf Verlust stand, machte er sich wieder aus dem Staub, aber diesmal nicht sang und klanglos, sondern er schickte einen Dienstmann, der seinem Kontrahenten die Aufgabe der Partie übermittelte.
José Capablanca, die Schachmaschine, hat in seiner gesamten Schachlaufbahn nur wenige Partien verloren. Eugéne Sonosko-Borowsky kam erster auf die Idee, alle bekannten Verlustpartien Capablancas als Buch zu veröffentlichen. Darauf konterte Capablanca, er plane ein Buch mit guten Partien von Sonosko-Borowsky herauszubringen, werde aber höchstwahrscheinlich dieses Vorhaben nicht zu Ende bringen können, da er mangels Masse bisher nicht über die Einleitung hinausgekommen sei.
Der Tscheche Oldrich Duras geriet während eines Turniers in eine spiritistische Sitzung. Duras interessierte nur eine Sache, deshalb fragte er auch gleich das Medium, wer das Schachturnier gewinnen werde. Nach einer Weile konnte die Botschaft aus dem Jenseits entziffert werden, doch dann stand fest, dass der österreichische Großmeister Rudolf Spielmann (1884-1942) der Sieger sein würde. Das überraschte die Anwesenden nicht, führte der ausgezeichnete Angriffsspieler Spielmann doch klar mit 10 Punkten aus 11 Partien. Als dann die Frage nach dem zweiten gestellt wurde, und die Antwort des Geistes Duras lautete, wurden Zweifel am Okkultismus allgemein und an der Qualifikation des Mediums im besonderen laut. Duras lag weit abgeschlagen im hinteren Drittel der Tabelle. Am darauf folgenden Tag besiegte Duras den Spitzenreiter Spielmann und gewann auch gegen sieben weitere Gegner, was ihm den zweiten Platz einbrachte. “Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde für die es keine Erklärung gibt.” meinte mit selbstzufriedenem Lächeln eine Dame aus dem spiritistischen Zirkel. “Doch”, entgegnete Duras trocken, “die Erklärung ist, dass das Medium außer mir und Spielmann keinen weiteren Spieler mit Namen kannte.”
Im Jahre 1906 nahm der starke polnische Meister G. S. Salwe an dem berühmten Turnier von Ostende teil. Auf der zum Spiellokal des Hotels führenden Steintreppe stand mit farbigen Intarsien in Latein “Salve!” (Sei gegrüßt!) Der Maestro verstand jedoch kein Latein und nahm an, dass ihm zu Ehren die Inschrift gemacht worden sei. Den erstaunten Hotelbesitzer ließ er wissen, dass er seinen Namen lieber ohne Fehler geschrieben sähe!